Interview mit Dr. med. Walter Künzi
Zeitgeschehen im Fokus Sie waren und sind als Arzt immer wieder in Krisen- und Kriegsgebieten tätig.
Dr. med. Walter Künzi Mit dem IKRK war ich 1986 für drei Monate in Peshawar während des Afghanistan-Konflikts. Im Sudan-Konflikt 1989 war ich in Lokchokkio auch mit dem IKRK. 1985 war ich in Ghana, aber das war kein Kriegseinsatz. Von 2005 bis 2018 war ich mit dem Palestine Children’s Relief Fund (PCRF), einer amerikanischen NGO, immer wieder im Gaza-Streifen. Dann war ich mit Swisscross¹ unter der Führung des IKRK in Tripolis, Libanon. Später ab 2020 ohne IKRK nur mit Swisscross in Erbil im Norden des Irak, in Kurdistan. Das ist aktuell kein Kriegsgebiet. Dort geht es um syrische Flüchtlinge und um Internally Displaced People (IDP), von denen es dort sehr viele gibt. Sie sind in Camps untergebracht und leben finanziell am Existenzminimum. Ein neues Projekt von Swisscross ist ab 2022 Kabul.
Was war der Anlass für ihre Einsätze in Kriegs- und Krisengebieten?
Das Universitätsspital Zürich hatte auf der Chirurgie B eine Oberarztstelle bekommen, bezahlt vom damaligen Schweizerischen Katastrophenhilfekorps. Dieses konnte dann auf den Oberarzt bei Katastrophen oder anderen Notwendigkeiten zugreifen und sagen, jetzt brauchen wir ihn zum Beispiel im Sudan oder in Ghana. Dann hat man gehen müssen. Das war eine schöne Arbeit, völlig anders als in einer universitären Institution. Man hatte freundliche und dankbare Leute um sich herum.
Was war Ihr Motiv für diese Einsätze?
Bei all diesen Männern und Frauen, die in solche Einsätze gehen, ist der Helfergedanke nicht so stark, wie man gemeinhin annimmt. Eigentlich hilft der «Helfer» sich selbst: Du bist gut gewesen, und du hast etwas Vernünftiges geleistet. Man geht also in solche Einsätze, um sich in seinem Beruf zu bestätigen, ich kann etwas, und ich zeige es euch. Letztlich eine Win-Win-Situation, es nützt dem Kranken, den lokalen Mitarbeitern, und ich kann mich selbst auch bestätigen.
Wir haben dann in Erbil auch begonnen, nicht nur Flüchtlinge und IDP’s zu operieren. Wir sahen ein Bedürfnis der Bevölkerung und der lokalen Plastiker in der Behandlung von Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten. Wie im Gaza-Streifen operieren wir jetzt auch in Erbil, mit der Erlaubnis des Gesundheitsministeriums und der lokalen Plastiker, wieder solche Patienten. Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sind nicht meine Kernkompetenz, also musste ich jemanden finden, der das perfekt kann. Das war in diesem Fall relativ einfach. Schon bei den Einsätzen im Gaza-Streifen war Johannes Kuttenberger, heute Chef der Kieferchirurgie am Kantonsspital Luzern, immer mit dabei. Ähnliches machen wir in der Handchirurgie, der rekonstruktiven Brustchirurgie nach Tumoren, der Mikrochirurgie und der Orthopädie. Wie überall in der Chirurgie sieht man auch bei solchen Einsätzen, dass in der Chirurgie ohne Teamwork nichts geht.
Eigentlich geht es um Solidarität, «was ich habe, das müssen die anderen auch haben», oder?
Ja, genau. Wir sind in der Schweiz auf einem gewissen Level, und man versucht, die Kollegen im Ausland auf den gleichen Level zu heben. Wir wollen also nicht nur den Patienten helfen, sondern auch dem lokalen medizinischen Personal, kurz, wir möchten auch weiterbilden und die Voraussetzungen schaffen, dass wir überflüssig werden. Wenn Patienten und lokale Behandler glücklich sind, haben wir eine gute Hilfe geleistet, wir waren gut, und das macht mich glücklich.
Mit welchen Argumenten würden Sie heute jungen Berufskollegen einen solchen Einsatz empfehlen?
Ich würde sagen, ihr seht dort als Chirurgen Dinge, die ihr in der Schweiz nie sehen werdet. Ihr könnt aber nicht dorthin gehen, um Sachen, die ihr nicht könnt, dort zu lernen. Ihr müsst alles schon können. Man muss als Schweizer auch die Demut haben, sich einzugestehen, dass es viele Dinge gibt, die man nicht kann.
Neben der Medizin werdet ihr andere Kulturen kennenlernen, würde ich ihnen sagen: freundliche Menschen, schöne Landschaften, andere Religionen, andere Musik, anderes Essen.
Bei uns gibt es alles, dort eben nicht, man muss sich einschränken und lernen zu improvisieren. Wir können hier (fast) alles haben: «Ich hätte gerne das.» Dann bekomme ich es. Im Einsatz muss man irgendwann mangels Materials anfangen zu improvisieren.
Wo ist Swisscross zurzeit tätig?
Jetzt ist Swisscross im Norden des Iraks, in Erbil, mit etwa vier bis fünf Missionen jährlich tätig. Wir geniessen es, unabhängig vom IKRK zu sein. Natürlich hat das auch seine Nachteile, vor allem wenn man ans Geld denkt. Man muss wissen, dass «Hilfe» kostet, viel Geld kostet. Es ist nicht selbstverständlich, dieses Geld zu haben, man muss sich darum bemühen. Der Gründer von Swisscross, Dr. med. Enrique Steiger, macht diese nicht einfachen Betteltouren seit Jahren hervorragend.
Eine zweite Lokalisation, an der das Swisscross seit 2021 arbeitet, ist in Kabul, Afghanistan. Nach zwei Evaluationen in Kabul fand im Oktober 2024 die erste Mission statt. Neu für Swisscross ist hier die Zusammenarbeit mit der Herzchirurgie (Eurasia Heart Foundation). Auch hier also ohne das IKRK.
Weshalb?
Das IKRK ist naturgemäss als grosse Organisation mit vielen staatlichen Geldern sehr bürokratisch und darum auch langsam, es geht zu wenig schnell. Wenn man mit dem IKRK etwas Medizinisches aufbauen will, dann dauert das ein bis anderthalb Jahre. Der Kauf von Instrumenten und Medikamenten unterliegt einer speziellen Kontrolle. Das IKRK darf nicht einkaufen, wo es am günstigsten ist, sondern muss möglichst lokal kaufen. Wenn man etwas importiert, muss es verzollt werden, das geht ins Geld, das sowieso immer etwas knapp ist.
Ich spreche nicht von humanitärer Hilfe in Katastrophen- oder Kriegssituationen wie Nahrung, Wohnmöglichkeiten, sanitären Einrichtungen, von notfallmässiger medizinischer Hilfe. Hier ist das IKRK nach wie vor schnell und unersetzlich. Die notwendige Hilfe wird höchstens vom Geldmangel negativ beeinflusst, sicher nicht von bürokratischen Schikanen. Es ist also nach wie vor wichtig, dass wir finanziell und ideell hinter dem IKRK stehen.
Wie machen Sie das in Erbil?
Wir haben gute Verbindungen zur Barzani Charity Foundation, mit der wir eng zusammenarbeiten. Die Unterstützung und das Wohlwollen der Barzani-Familie ist uns eine grosse Hilfe. Man muss wissen, dass die Barzani-Familie seit den 1960er Jahren in Kurdistan eine politisch bestimmende Grösse ist. Sie helfen uns bei der Einreise nach Kurdistan mit einer kurdischen Identitätskarte. Sie sorgen dafür, dass wir keinerlei Zoll auf mitgebrachten Instrumenten, Implantaten und Medikamenten bezahlen müssen. Das ist für uns sehr hilfreich, da wir somit alle für die Mission notwendigen Dinge in der Schweiz besorgen können und das notwendige Material bei uns haben.
Im Auftrag von Herrn Barzani?
Ja, wir stehen in engem Kontakt zum Bruder des jetzigen Präsidenten, Mulla Mustafa Barzani, der unsere Missionen sehr wohlwollend unterstützt, sogar propagiert und Reklame für unsere Tätigkeit macht. Das hilft uns viel, da wir damit auch das Gesundheitsministerium hinter uns haben. Trotzdem ist es entscheidend zu betonen, dass das Gesundheitswesen Kurdistans nicht dem eines Drittweltlandes entspricht, sondern durchaus einen hohen Standard hat. Leider profitieren die Flüchtlinge, darunter viele Syrer, und die IDP, für die wir vor allem zuständig sind, nur wenig davon.
Aber Ihnen geht es ja einfach darum, einen sinnvollen Beitrag im Gesundheitsbereich zu leisten.
Ja, genau. Es ist wichtig für uns, den zum Teil ärmsten Flüchtlingen und IDP chirurgisch zu helfen. Wie vorher schon gesagt, möchten wir auch auf gewissen Gebieten die ansässigen Ärzte weiterbilden, wenn das denn gewünscht wird. Eben hier muss man besonders feinfühlig, vielleicht auch mit etwas Demut vorgehen: Weiterbildung nur dort anbieten, wo es auch gewünscht wird. Sonst macht es keinen Sinn.
Ist Swisscross, für das Sie ehrenamtlich tätig sind, neutral und unabhängig?
Ja, das muss man sein, denn sonst verliert man. Man soll sich nicht einmischen in politische Dinge, von denen man wenig bis nichts versteht. Man muss sich bewusst sein, dass man als Gast ein Fremder ist, auch wenn man sich nach mehreren Einsätzen oft wie zu Hause fühlt. Wir sind unparteiisch. Ob Mann, Frau, Kind, schwarz, weiss, katholisch, reformiert, muslimisch oder jesidisch spielt keine Rolle, wir behandeln sie.
Ich war ein paarmal mit dem IKRK auf Missionen. Das ist eine grosse Stärke des IKRK, dass es politisch neutral ist. Neutralität ist darum etwas, was man vom IKRK lernen kann. Wenn man nicht neutral ist, verliert man und gefährdet sich und seine Mitarbeiter.
Wie ist die Sicherheitslage in Erbil?
Wir fliegen immer mit Turkish- oder Austrian-Airline. Sobald irgendetwas gefährlich ist, wie zwischen Iran und Israel, dann fliegen diese Fluggesellschaften Erbil nicht an. Häufig gehen wir in ein Restaurant direkt neben der amerikanischen Botschaft. Das wird dann manchmal von den einheimischen Organisatoren verboten, weil es gefährlich sein könnte wegen einer unpräzisen Drohne oder Rakete, die die Amerikaner treffen sollte. Erbil ist aber insgesamt völlig ungefährlich.
Wie ist die wirtschaftliche Lage Kurdistans?
Der Irak hat grosse Ölvorkommen. Die Ölfelder liegen fast ausschliesslich in Kurdistan. Man kann sagen, dass vor allem Kurdistan und damit der Irak nicht arm sind, allerdings sind sie weit davon entfernt, reich wie die Schweiz zu sein. Genaue Zahlen kennt man von Kurdistan nicht.
In welchen Bereichen arbeitet Swisscross in Kurdistan?
Wir arbeiten in den Bereichen Handchirurgie, Verbrennungschirurgie, Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Orthopädie und Brustchirurgie. Das sind die fünf Pfeiler, die wir haben. Ein ganz grosser Pfeiler ist die Handchirurgie. Man sieht dort Missbildungen, die ich in der Schweiz nur selten sah: Mehr als fünf Finger pro Hand oder Fuss, zusammengewachsene Finger, drei Daumen, verkrüppelte Arme und Beine und vieles mehr.
Wir sehen viel mehr Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten als bei uns. «Hasenscharten», wie sie im Volksmund leider auch heute noch genannt werden, sollte man nicht mehr sagen. Die Kinder haben neben der Lippenspalte auch einen offenen Gaumen und Kiefer, welcher das normale Zahnwachstum behindert, und sie haben unbehandelt auch die typisch näselnde Sprache. Wie oben schon erwähnt, behandeln wir diese Missbildungen nicht nur bei Flüchtlingen und IDP, sondern auch bei Bewohnern Erbils. Dies geschieht mit Einverständnis des Gesundheitsministeriums und der lokalen Plastiker und Kieferchirurgen. Die Ärzte haben dort wenig Erfahrung in dieser Chirurgie und bei den vielen anderen Aufgaben, man denke nur an die vielen Verbrennungen und Missbildungen, die es zu behandeln gibt, kaum die Zeit, auch noch diese Patienten zu betreuen.
Das Gleiche gilt für die Brustchirurgie bei Frauen nach Brustamputationen wegen Krebs. Es ist nicht so, dass die Plastiker dort zu brustrekonstruierenden Operationen unfähig wären, aber ihr Pensum ist überlastet und die öffentlichen Spitäler sind mit anderen Patienten überbelegt. All diese Gründe führen dazu, dass ihnen darum auch die Erfahrung bei solchen nicht ganz einfachen chirurgischen Problemen fehlt.
Mit lokalen Orthopäden und Spezialisten aus Grossbritannien und der Schweiz behandeln wir Patienten mit Problemen der Knochen: Nicht geheilte Brüche, in falscher Stellung verheilte Brüche, Knocheninfektionen und auch hier Missbildungen. Auch auf diesem Gebiet dürfen wir mittlerweile Bewohner Erbils und nicht nur Flüchtlinge und IDP behandeln. Ein Grund dafür ist vor allem, dass den kurdischen Orthopäden und den Spitälern schlicht die Kapazität zur Behandlung all dieser Kranken fehlt. Und dann viele Verbrennungen!
Verbrennungen?
Verbrennungen haben sie viel mehr als wir hier in Europa. Flüchtlinge und IDP kochen noch am offenen Feuer. Wenn da irgendetwas umkippt oder zu brennen beginnt, sind die Kleinsten, eben die Kinder, fast immer betroffen. Vor allem wenn noch auf dem Boden gekocht wird, wie in vielen Flüchtlings-Camps, dann trifft es bei Unachtsamkeiten praktisch immer die Kinder. Man muss sich als Schweizer auch klar werden, dass die Raumverhältnisse um vieles enger sind als bei uns! Der Luxus einer 5-Zimmer Wohnung ist absolut unvorstellbar. Man wohnt in einem Raum, zum Teil mit fünf Kindern, steht sich also buchstäblich auf den Füssen.
Man sieht dort schlimme Verbrennungen, wie wir sie in Europa gar nicht mehr kennen. Natürlich kommt erschwerend dazu, dass auch die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten nicht vergleichbar sind mit unseren.
Als Gast und Fremder muss man aufpassen, dass man in der Behandlung Kranker nicht zur Konkurrenz der lokalen Ärzte wird. Man darf nie vergessen, dass sie das gesamte Jahr anwesend sind, wir jedoch nur einen Monat pro Jahr und dann wieder in die Schweiz zurückkehren.
Man darf sie nicht konkurrenzieren.
Wir halten uns auch an das. All diese Aufgaben, die wir neben der Betreuung der Flüchtlinge machen, müssen unter der Leitung eines lokalen Spezialisten erfolgen! Er entscheidet, bei welchen Patienten wir gebraucht werden. Das Gesundheitsministerium hat uns mit dem Einverständnis der kurdischen Ärzte angefragt, ob wir gewisse Operationen mit den lokalen Ärzten im Sinne einer Weiterbildung durchführen.
Wie verändert Wiederherstellungschirurgie den Alltag, das Leben und die Zukunft Ihrer Patienten?
Wir haben ein Kind operiert, das so verbrannte Hände hatte, dass es mit ihnen nichts mehr machen konnte. Wir haben einen einfachen Eingriff gemacht, allerdings zeitlich aufwändig. Als ich das Kind nach drei Monaten wieder gesehen habe, konnte es seine Hand wieder gebrauchen. Das sind Erfolge, die für solche Kinder lebenslang gültig sind. Wenn man nichts machen würde, könnte es seine Hand nicht gebrauchen. Für das Kind ist dieser Eingriff ein unglaublicher Gewinn.
Ein anderes Beispiel: Wir operierten ein dreijähriges Kind, Ahmed, der bei einer kriegsbedingten Explosion ein Bein und einen Arm verloren hatte. Er konnte nicht gehen. Das Bein, das er noch hatte, war in einer unnatürlichen Beugung im Knie fixiert. Wir operierten das gebeugte Knie und ermöglichten ihm eine Prothese für das amputierte Bein. Wir haben jetzt einen Film gemacht von ihm: Er kann nicht nur gehen, er rennt.
Ein weiteres Beispiel: Patienten, die ihre Hand nach Verletzung eines Nervs wegen eines Unfalls oder im Krieg erlittener Verletzung nicht mehr richtig bewegen können, zum Beispiel eine Fallhand, also keine Bewegung im Handgelenk und der Finger. Da gibt es eine Operation, die haben wir fünf Mal gemacht, die das korrigiert und für die Verletzten ein enormer Gewinn ist, der auch eine Rückkehr ins Arbeitsleben ermöglicht. Das ist nicht besonders schwierig, man muss einfach wissen, wie es geht.
Man muss aufpassen, dass man gewisse Operationen nicht macht. Zum Beispiel kleine Narben im Gesicht oder an den Armen und Beinen, also mehr «Schönheitschirurgie» als funktionelle Chirurgie. Unser Ziel ist also, Funktion zu gewinnen. Der Patient kann die Hand wieder besser gebrauchen oder er kann zum Beispiel wieder gehen. Anders ausgedrückt, es sieht nach wie vor nicht besonders schön aus, vor allem nach Verbrennungen, aber die Gliedmassen funktionieren wieder. Wir machen also keine ästhetische Operationen. Die Brustrekonstruktionen bei Frauen nach Brustkrebs, die wir durchführen, sind keine ästhetischen, sondern wiederherstellende Operationen!
Dann haben wir die Mikrochirurgie eingeführt, also Operationen unter dem Mikroskop. Solche Operationen also, bei denen zum Beispiel Gewebe vom Rücken an eine andere Körperstelle gebracht wird, sind in vielen Ländern Routine. Sie sind ein Bestandteil der Unfallchirurgie, der Orthopädie, der Brustrekonstruktion nach Tumoren, der Nervenchirurgie, der Neurochirurgie und vieler anderer Spezialgebiete der Chirurgie. Dem Laien ist besser bekannt das «wieder annähen» von abgetrennten Fingern, die Replantationen also, etwas, was ohne Mikrochirurgie gar nicht möglich ist.
Das können Sie alles?
Ja, das gehört zur Grundausbildung in der plastischen Chirurgie. Am Universitätsspital in Zürich, wo ich viele Jahre arbeitete, machen die mikrochirurgischen Operationen einen wesentlichen Anteil der Tätigkeit aus.
Wie geht es in Erbil nach einer Operation weiter?
Wir gehen drei- bis viermal pro Jahr nach Erbil und sehen die Patienten wieder, die wir operiert haben. Wir haben vor Ort auch zwei Ärzte, die die Auswahl der Patienten, Nachkontrolle und Planung der Operationen organisieren. Zusätzlich haben wir drei hervorragende plastische Chirurgen vor Ort, die unsere Patienten nachkontrollieren und die bei Problemen die Ansprechpartner für die Patienten sind, wenn wir abwesend sind. Ich bekomme von ihnen Fotos: «Was soll man da machen, da ist etwas passiert.» Es ist nicht so, dass in der Chirurgie immer alles gut geht. Manchmal gibt es Infektionen, dann muss man rasch handeln und kann nicht warten bis zur nächsten Mission, und da sind diese Kollegen Gold wert.
Unsere Aufgabe sehen wir nicht nur in den Operationen. Viele Assistenzärzte kommen während unserer Missionen aus den öffentlichen Spitälern zu uns, und wir versuchen, sie so gut wie möglich weiterzubilden. Wir wollten am Anfang nur für IDP und für Flüchtlinge arbeiten. Jetzt ist es so, dass mit der Genehmigung des kurdischen Gesundheitsministeriums und mit dem nicht zu unterschätzenden Einfluss der Barzani-Familie eine Weiterbildung für kurdische Ärzte stattfindet.
… eigentlich ein Wissenstransfer?
Ja, ein Teil unserer Arbeit ist Wissenstransfer. Es ist eines unserer grossen Ziele, dass die kurdischen Kollegen all das, was wir jetzt können, selbst können, also, dass es uns nicht mehr braucht.
… Entwicklungshilfe im eigentlichen Sinn: «Hilfe zur Selbsthilfe».
Ja. Das Schönste wäre, wenn wir ersetzbar sind. Wenn sie sagen: «Wir brauchen euch nicht mehr. Ihr müsst nicht mehr kommen.» Dann ist es gut.
Gibt es noch etwas, was Ihnen wichtig ist?
Mir ist es ein Anliegen, dass man sich interessiert für all diejenigen, denen es nicht so gut geht wie uns, und dass wir nie vergessen, dass Konflikte immer auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werden. Denen sollten wir helfen.
Herr Dr. Künzi, herzlichen Dank für das Gespräch.
Interview Henriette Hanke Güttinger
¹ Swisscross, in der Schweiz registriert, ist eine unabhängige, unparteiische humanitäre NGO, die sich auf die humanitäre Wiederherstellungschirurgie konzentriert. www.swisscross.org
Ausgabe Nr. 1 vom 16.01.2025