Deutschland vor den Wahlen

Interview* mit dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko

Zeitgeschehen im Fokus In vier Wochen finden in Deutschland die Bundestagswahlen statt. Ist es verfassungsgemäss, wenn den Parteien nur so wenig Zeit für den Wahlkampf zur Verfügung bleibt?
Bundestagsabgeordneter Andrej Hunko Hierbei stehen sich zwei verschiedene Interessen gegenüber. Im November 2024 kam das Aus der Ampelkoalition. Jetzt will man natürlich keine endlose Hängepartie haben. Deshalb waren die Stimmen sehr laut und in gewissem Sinn auch berechtigt, die Übergangszeit, in der Scholz noch Kanzler ist, aber über keine Mehrheit mehr im Parlament verfügt, nicht in die Länge zu ziehen. Scholz hat Neuwahlen Ende März vorgeschlagen, was vier, fünf Monate ohne funktionierende Regierung bedeutet hätte. Praktisch hätte das zu einem Hinauszögern der Neuwahlen geführt. Der andere Aspekt ist, dass der jetzige Zeitrahmen überaus kurz bemessen ist, insbesondere für kleine Parteien. Für uns als neue Partei ist das eine immense Herausforderung. Von unserer Parteientwicklung aus gesehen, hätten wir das halbe Jahr bis zu den regulären Wahlen gut gebrauchen können. Wir muss­ten nun in kürzester Zeit vieles organisieren, um alle Auflagen zu erfüllen, damit wir an den Wahlen teilnehmen können.

Was bedeutet das konkret für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)?
Wir konnten aufgrund der Kürze der Zeit nicht in jedem Wahlkreis eine Direktkandidatur aufstellen. Wir gründeten zum Beispiel erst vor zwei Wochen den letzten Landesverband in Hamburg. So konnten wir in allen 16 Bundesländern die Listen zur Bundestagswahl erstellen. Da wir noch keine Kreisverbände haben, um so in bundesweit 299 Wahlkreisen mit Kandidaten präsent zu sein, war es für uns in so kurzer Zeit nicht möglich, Direktkandidaten aufzustellen. Deshalb treten wir «nur» mit der Zweitstimme an, die letztlich die entscheidende ist, denn sie bestimmt, wie das Parlament zusammengesetzt sein wird. Die Erststimme gilt den Direktkandidaten, die im Majorzsystem gewählt werden. Es gibt also in Deutschland ein kombiniertes Proporz- und Majorzsystem, wobei man im Zuge der Wahlrechtsreform die Bedeutung der Erststimme zurückgestuft hat, damit das Parlament personell nicht immer weiter zunimmt. Die Anzahl der Abgeordneten im Bundestag ist auf 630 begrenzt.

Musste das BSW auch noch Unterstützungsunterschriften sammeln?
Nein, wir haben den Vorteil, dass wir das nicht mussten. Das Gesetz sagt, dass Parteien, die mit mindestens fünf Abgeordneten in einem Landtag vertreten sind, keine Unterstützungsunterschriften brauchen. Man leitet daraus die Relevanz ab. Das BSW ist inzwischen in drei Landtagen vertreten. Ähnliches gilt für die Freien Wähler, die in Bayern im Landtag sitzen. Aber die kleineren Parteien, und davon gibt es ungefähr 40 – die Tierschutzpartei, die ÖDP, die Familienpartei, die Basis und so weiter – müssen Unterstützungsunterschriften sammeln.

Wie viele Unterschriften braucht man, um bei der Wahl zugelassen zu sein? In welchem Zeitraum muss das passieren?
Das sind zwischen 700 und 2000, abhängig vom jeweiligen Bundesland. Der Zeitrahmen ist sehr knapp, so dass die Parteien auch über die Weihnachtstage unterwegs waren, um Unterschriften zu sammeln. Das Verfahren war in der vorletzten Januarwoche abgeschlossen. Bei den meisten Parteien, die die Zulassung wollten, wurden erst einmal die formalen Voraussetzungen geprüft. Ich vermute, dass es der Mehrheit nicht möglich sein wird, die Kriterien zu erfüllen. Einige haben auch Einspruch erhoben und gegen die kurze Vorlaufzeit geklagt, aber alles wurde abgewiesen. Der Vorgang ist laut Bundesverfassungsgericht nicht verfassungswidrig, dennoch bleibt es für die kleinen Parteien eine extreme Herausforderung.

Das Formale ist das eine, aber in Deutschland ist es doch üblich, dass ein harter Wahlkampf geführt wird. Inwieweit sind diese kleinen Parteien in der Lage, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen?
Sechs Wochen vor der Wahl begann die Wahlkampfzeit. Ab dann durfte man in den Städten Plakate aufhängen. Auch die zahlreichen BSW-Unterstützer hängen überall in der Bundesrepublik Plakate auf, was grossartig ist. Man sieht jetzt überall, dass an den Laternen die Bilder der Politiker hängen. Aber bisher sieht man überwiegend Plakate von den bereits im Bundestag vertreten Parteien und der Partei mit dem Namen «Volt», vereinzelt auch von den Marxisten-Leninisten, aber diese Partei erreicht in der Regel so um die 0,1 Prozent.

Was ist «Volt» für eine Partei?
Die Partei ist neu und radikal für die EU, man kann vielleicht von einer «EU-nationalistischen» Partei sprechen. Sie steht den Grünen nahe, hat aber einen starken Schwerpunkt pro EU. Sie kommen aus der Bewegung «Puls for Europe». Hinter ihr stehen kräftige Geldgeber, und darum sind sie im öffentlichen Raum sehr präsent. Sie treten als politischer Akteur eigentlich nie in Erscheinung. Es fällt nur auf, dass während des Wahlkampfs ihre Plakate flächendeckend zu finden sind, und das bekommt «Volt« nicht gratis. Sie haben starke Verbindungen ins studentische Spektrum. Ansonsten sieht man kaum Wahlplakate von den 30 kleineren Parteien, die auch um den Einzug ins Parlament kämpfen.

Welche Themen bestimmen den Wahlkampf?
Neben Krieg und Frieden und Migrationspolitik, die die Menschen immer noch sehr beschäftigen, ist das überragende Thema der Zustand der Wirtschaft. Deutschland schlittert in das vierte Jahr der Rezession hinein, was sich grundlegend von den zyklischen Krisen der Vergangenheit unterscheidet.
Viele Leute spüren, dass sich Deutschland auf einem längerfristigen Abstieg befindet. Dies führt zu Massenentlassungen wie zum Beispiel bei VW. Diese Entwicklung beschäftigt die Menschen schon sehr stark. Aus meiner Sicht hat das vor allem zwei Hauptgründe:
Zum einen betrifft es die Energie, die viel zu teuer geworden ist. Deutschland war immer mit günstiger Energie versorgt. Ein Teil der günstigen Energie kam auch aus Russland. Mit den Sanktionen und Gegensanktionen, dem Wirtschaftskrieg, war jetzt die günstige Energieversorgung weggebrochen und wird vor allem mit dreimal teurerem und höchst umweltschädlichem Fracking-Gas aus den USA ersetzt, oder es ist doch wieder russisches Gas, das über Indien, die Türkei und so weiter nach Europa kommt. Dadurch wird es natürlich auch teurer. Das Ganze ist völlig absurd. Die deutsche Bundesregierung hat diesen Weg eingeschlagen, weil sie glaubte, man könne Russland so ruinieren, aber es deutet sich an, dass eher Deutschland ruiniert wird.

Woran zeigt sich das?
Am Weggang grosser Firmen.Hinzu kommen auch die mangelnden Investitionen in die Infrastruktur und die Bildung. Das beste Beispiel ist die Deutsche Bahn, hier geht es um Schienen, Brücken und so weiter. Seit vielen Jahren wird kritisiert, dass zu wenig investiert wird. Diese Investitionen bräuchte es dringend für eine zukunftsfähige Wirtschaft. Das war einer der Streitpunkte, der zum Bruch der Ampel-Koalition führte. SPD und Grüne waren bereit, mehr zu investieren und die Schuldenbremse hierfür auszusetzen. Die FDP hat das blockiert. Die unterschiedliche Wirtschafts- und Investitionspolitik war letztlich der Auslöser für das Ende der Regierungskoalition. Um hier eine Wende herbeizuführen, muss man auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Es braucht wieder günstige Energie. Dabei geht es nicht nur um russische. Man muss doch nach dem Prinzip vorgehen: Wo bekommen wir die Energie am günstigsten und sinnvollerweise her. Da gehören Russland, Norwegen und andere Staaten, die Erdöl produzieren, dazu. Ein grosser Anteil müsste sicher aus Russland kommen, wobei es sinnvoll ist, sich nicht zu stark von einem Staat abhängig zu machen. Aber was wir jetzt haben, ist eine starke Abhängigkeit von den USA. Vielleicht jammert man dann nächstes Jahr, dass Trump das ausnützt.

Was müsste jetzt getan werden, da die Regierung Unmengen für die Rüstung ausgibt und alles andere vernachlässigt?
Es braucht natürlich Geld für Investitionen. Wir haben eine Schuldenbremse. Die muss reformiert werden, um in die Zukunft des Landes und seiner Bürger zu investieren. Das wäre dringend geboten. Man könnte aber auch mit einer Vermögenssteuer Geld für zukunftsträchtige Investitionen einholen. Diese wurde 1996 ausgesetzt und seitdem nicht mehr eingeführt, wird also aktuell nicht erhoben, obwohl es im Grundgesetz steht, und das Geld den Ländern zugutekäme. Das wird in Deutschland diskutiert. Wir befürworten das, aber erst bei sehr hohen Vermögen, ab 20 Millionen Euro. Sicher nicht bei den Menschen, die sich ein Häuschen erspart haben oder ähnliches, sie sollen nicht unfair belastet werden. Es geht hier um die ganz grossen Vermögen. Es hat auch noch einen anderen Effekt. Die Ungleichheit, die international gewachsen ist, hat nicht nur eine Wirkung auf die Gesellschaft, sondern das hat zunehmend eine Auswirkung auf die Demokratie.
Wir erleben, dass immer mehr Oligarchen die Politik beeinflussen, zum Beispiel Elon Musk, der offiziell direkt Einfluss auf die US-Regierung nimmt, wie es in der Geschichte der USA noch nie der Fall gewesen ist. Das gilt gleichermassen für George Soroš oder Bill Gates, die politisch anders gestrickt sind als Elon Musk. Die Aufregung von ihrer Seite gegenüber Musk ist geheuchelt. Doch das Problem besteht. Wir haben gesehen, welche Rolle Bill Gates in der Pandemiepolitik gespielt hat. Wir haben erlebt, welche aktive Rolle George Soroš bei Umstürzen in verschiedenen Staaten eingenommen hat. Wir können sehen, welche Rolle Elon Musk übernimmt. Vor 20 Jahren wäre das so nicht denkbar gewesen. Es ist ein massiver Eingriff auch über die sozialen Plattformen. Das höhlt die Demokratie aus.

Bei dieser Entwicklung bewegen wir uns quasi hinter die Errungenschaften der Aufklärung zurück. Neben der Frage der Wirtschaft erwähnten Sie noch einen zweiten Punkt.
Ja, das ist das Thema Krieg und Frieden. Im Moment ist der Kriegsdruck etwas weggefallen, denn man wartet erst einmal ab, wie sich die Situation unter Trump weiterentwickelt. Vor einem halben Jahr brannte das Thema mehr unter den Nägeln.
Das hat natürlich auch Auswirkungen auf unsere Partei. Der Frieden spielt in unserem Selbstverständnis eine wichtige Rolle. Ein ganz grosses Thema ist in diesem Zusammenhang die laufende und geplante Aufrüstung. Dabei geht es nicht nur um die Kriege in Palästina oder der Ukraine, sondern um die Aufrüstung ganz allgemein, die unglaublich vorangetrieben wird. Der SPD-Verteidigungsminister sagte, «die Kriegstüchtigkeit ist das Gebot der Stunde.» Er fordert deutlich mehr als die zwei Prozent des BSP. Jetzt beginnen die Parteien, sich zu überbieten. Robert Habeck, der Grüne Kanzlerkandidat, fordert 3,5 Prozent. Als ich vor einigen Jahren in den Deutschen Bundestag einzog, hatten wir einen Verteidigungsetat von ungefähr 33 Milliarden Euro. Das waren nach Nato-Kriterien rund 1,2 Prozent des Bruttosozialprodukts. Im Verlauf des Ukraine-Kriegs erreichte Deutschland vergangenes Jahr das Nato-Ziel von zwei Prozent. Wir liegen mittlerweile bei 90 Milliarden Euro Wehretat. Der Betrag setzt sich zum Teil aus dem Bundeshaushalt und aus dem «Sondervermögen», das reine Schulden sind, zusammen. Dabei handelt es sich um die 100 Milliarden, die Scholz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine freigegeben hatte, ohne sie im Haushalt abzubilden. Das sind schon gigantische Zahlen. Bei dreieinhalb Prozent wären wir bereits bei über 150 Milliarden Euro. Die Kanzlerkandidatin der AfD, Alice Weidel, brachte sogar fünf Prozent ins Gespräch – das ist auch das, was Trump fordert. Es wäre fast die Hälfte des Bundeshaushalts. Das wäre prozentual mehr, als die USA ausgibt.

Trump hat zwei Prozent schon während seiner letzten Amtszeit von den Nato-Mitgliedern gefordert.
Ja, Trump spricht immer so, als ob es eine Verpflichtung wäre. Ist es aber nicht. Das Ziel, zwei Prozent des BSP für die Rüstung auszugeben, ist eine politische Vereinbarung der damaligen Aussenminister, die beim Nato-Gipfel in Wales 2014 beschlossen worden ist. Das ist kein völkerrechtlicher Vertrag, geschweige denn hat irgendein Parlament diese Vereinbarung ratifiziert, aber Trump tut so, als ob man seinen Verpflichtungen nicht nachkommen würde.

Dieses Geld muss doch erst einmal vorhanden sein.
Allerdings, zumal noch andere Bereiche bei uns im Argen liegen. Zum Beispiel bei der Pflegeversicherung ist nicht gelöst, wie es dort finanziell weitergehen soll. Die Beiträge, die jeder bezahlen muss, sind zum 1. Januar deutlich erhöht worden. Im Zuge der Pandemiepolitik hatte die Regierung unter Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sechs Milliarden Euro für innere gesellschaftliche Aufgaben, vor allem für Coronamassnahmen wie zum Beispiel Masken, aus der Pflegeversicherung herausgenommen, die nicht mit Steuergeldern finanziert wird. Sie versprach, den Betrag wieder zurückzugeben. Bis jetzt wurde das Geld nicht zurückgezahlt. Letztlich werden über Sozialkassen Aufrüstung und Waffenlieferungen finanziert. Darüber gibt es keine Diskussion.

Das hat keine der Parteien aufgegriffen?
Keine, ausser dem BSW. Ich habe das Thema Rückzahlung an die Pflegekassen im Bundestag eingebracht, und das Thema befindet sich in einem Prozess, der verhindert wird, damit darüber nicht abgestimmt werden kann. Im Dezember befragte ich im Gesundheitsausschuss Karl Lauterbach, den Gesundheitsminister, zu meiner Forderung, dass der Bund die sechs Milliarden Euro zurückbezahlen muss. Er gab mir zur Antwort, dass ich Recht hätte, aber sie könnten das im Moment nicht zurückzahlen, weil sie das im Haushalt nicht «abbilden» könnten, wie es so schön heisst. Jetzt redet die Bundesregierung vor der Wahl nochmals davon, der Ukraine schnell drei Milliarden zu liefern. Das ist eine Querfinanzierung aus der Sozialkasse. Man greift in die Kasse hinein, holt sich das Geld, zahlt es nicht zurück, und erhöht die Beiträge. Das ist schon krass. Wenn wir im Parlament über die Probleme, die wir im Land aufgrund mangelnder Finanzen haben, die nicht bezahlt werden können, debattieren, wird das nie den Kosten für die Aufrüstung und die Kriege gegenübergestellt. Dabei ist das der Kern der Sache.

Führt das nicht zu einer völligen Zerstörung des Sozialstaats?
Ja, das ist die Konsequenz. Ich war vor ein paar Tagen auf einer Podiumsdiskussion. Es haben sich viele beklagt über die Kürzungen im Sozialbereich. Das sind Institutionen, die von den staatlichen Geldern abhängig sind. Sie trauen sich nicht, den Zusammenhang mit den Kriegs- und Rüstungsausgaben zu thematisieren. Ich hatte eine Diskussion bei der Industrie- und Handelskammer. Auch hier gab es Klagen über den Abbau der Demokratie und die hohen Löhne einiger weniger. Aber auch sie trauen sich nicht, die hohen Kosten der verfehlten Energiepolitik anzusprechen. Wenn man vorschlägt, den Import zu diversifizieren, auch mit Gas aus Russland oder Aserbaidschan wird man, bildlich gesprochen, gesteinigt. Auch mittelständische Wirtschaftsvertreter haben Angst davor. Die grossen Konzerne sind mehrheitlich in den Händen von US-Finanzkonzernen wie BlackRock und so weiter. Deren Interesse sind natürlich ganz andere.

Wo sehen Sie die tieferen Ursachen für diese ungute Entwicklung in den letzten zwei, drei Jahrzehnten?
Im Grunde genommen zahlen wir jetzt die Zeche für einen ungeregelten Neoliberalismus, der die gigantischen Vermögen einiger weniger erzeugt hat. Man sieht das sehr deutlich, wenn man in Osteuropa die postsowjetischen Staaten betrachtet. Dort vollzog sich die Privatisierung der Staatsbetriebe und damit des Staatsvermögens völlig unkontrolliert. Aus diesem Wildwestkapitalismus der neunziger Jahre sind die Oligarchen hervorgegangen, die heute einen starken Einfluss auf die Politik nehmen. Deutlich sichtbar in der Ukraine oder auch in Georgien, unabhängig davon, wie man das im Einzelnen bewertet. Wir haben auch im Westen diese Tendenz, vor allem in den USA, da sieht man das sehr deutlich. Dazu gehört auch das Kapern von Uno-Organisationen wie der WHO und andere. Das ist letztlich eine Folge des Neoliberalismus. Diese Ungleichheit wird in der Regel verharmlost. Es geht nicht darum, dass einer, der viel leistet, auch mehr verdienen soll. Das ist schon richtig. Worum es mir geht, ist die krasse Ungleichheit. Gerade wurden vom Europäischen Gewerkschaftsbund Zahlen veröffentlicht. Die Chefs der grössten europäischen Unternehmen verdienen das 110-fache eines Durchschnittsverdieners des gleichen Betriebs. Das ist doch ausserhalb jeglicher Proportion. Im Durchschnitt haben die Chefs ein Einkommen von viereinhalb Millionen Euro. Bei den übrigen Beschäftigten liegt das Jahreseinkommen bei ungefähr 40 000 Euro. Neben der Ungerechtigkeit hat das Ganze auch Auswirkungen auf die Qualität der Demokratie.

Es ist schon auffallend, dass man kaum kritische Stimmen hört, die es ja sicher gibt.
Vieles, was in Staaten stimmungsmässig und thematisch vermittelt wird, geht über unsere Medien. Sie sind nicht demokratisch kontrolliert, sondern in den meisten Fällen in den Händen weniger. In Deutschland sind es ein paar Familien. Die Medien in verschiedenen Ländern waren stärker auf der transatlantischen Schiene als teilweise die Parlamente. Die Medien prägen die Stimmung, sie prägen die öffentliche Debatte. Sie können Parlamentarier zur «Schnecke machen», ihren Ruf schädigen, sie in die rechte Ecke stellen und so weiter. Über die Jahre entsteht im Denken der Menschen über mediale Beeinflussung eine ganz andere Ausrichtung. Denken wir an Schweden, das über 200 Jahre Neutralität mit einem Handstreich beendet hat. Ein krasses Beispiel dieser medialen Beeinflussung vollzog sich bei der deutschen Talksendung «Maybrit Illner». Dort wird der ZDF-Korrespondent Thewessen eingeblendet und zu Trump befragt. Er antwortet, die «gute Nachricht» sei, dass in der Ukraine nach Trumps Amtsantritt «nicht sofort der Frieden ausbrechen wird», weil Trump nicht in 24 Stunden den Krieg beenden und Frieden schaffen könne. Diese Äusserungen stehen weder auf dem Boden des Grundgesetzes noch des Völkerrechts. Es gibt keinen Aufschrei, wenn ein Journalist solche Ungeheuerlichkeiten vom Stapel lässt, weil die Medien die Kriegstreiberei normalisieren, statt sie zu skandalisieren. Auch wenn Politiker wie Friedrich Merz wie kürzlich auf einer Wahlveranstaltung vom Stapel lassen, «Frieden gibt es auch auf jedem Friedhof», gibt es keinen Aufschrei.

Was ist dagegen zu tun?
Jeder kann und sollte im Rahmen seiner Möglichkeiten die Gegenöffentlichkeit stärken, also alternative – eigentlich oppositionelle – Medien und auch alle verfügbaren soziale Medien, bei aller Widersprüchlichkeit der Machtverhältnisse auf den Plattformen. Die Reichweite mancher Youtuber und unabhängiger Nachrichtenseiten übertrifft inzwischen die Reichweite mancher öffentlich-rechtlicher und auch regierungsnaher privater Medien. Wir müssen Medienkompetenz stärken, unseren eigenen Medienkonsum bewusst steuern und – das gilt zum Beispiel für Parlamentarier wie mich – seriöse Oppositionsmedien auch als Gesprächspartner bevorzugen. Ich sehe absolut keine Veranlassung, Anfragen von hoch tendenziös arbeitenden Redaktionen wie t-online zu beantworten, nur weil leider immer noch viele Menschen deren meist diffamatorische und selten belegte Berichterstattung über politische Vorgänge für seriöse Informationen halten. Da spreche ich lieber mit den NachDenkSeiten, oder mit seriösen ausländischen Medien wie Zeitgeschehen im Fokus.
Herr Bundestagsabgeordneter Hunko, vielen Dank für das Gespräch.
Interview Thomas Kaiser

* Das Interview wurde letzte Woche vor der hitzigen Bundestagsdebatte um die Zuwanderung geführt.