«Heldin» – Ein aussergewöhnlicher Film

von Thomas Kaiser

Der Kinofilm «Heldin» von Petra Volpe hinterlässt Spuren im Gemüt. Zum einen ist der Zuschauer berührt von einer Pflegefachfrau, die bis an ihre körperlichen und psychischen Grenzen geht, um den Kranken gerecht zu werden, zum anderen ist man betroffen über die Zustände, wie sie leider in vielen Spitälern vorkommen. Es lohnt sich, diesen Film anzuschauen, denn er rüttelt auf und bringt den Zuschauer zum Nachdenken, auch wenn die eine oder andere Szene etwas überspitzt dargestellt wird.

Der Kinobesucher begleitet eine Pflegefachfrau, durch die Spätschicht in einem Spital. Ihr Name ist Floria Lind. Ob der Name eine Anspielung auf Florence Nightingale sein soll, die in schier unbewältigbaren Situationen dem einzelnen Menschen Zuversicht verlieh, selbst den kaum Überlebensfähigen, bleibt offen. Die Umstände waren damals völlig andere und mit heute nicht vergleichbar, aber die Menschlichkeit steht heute wie damals im Zentrum dieses Berufs. Es ist das Verdienst Florence Nightingales, dass der Pflegeberuf gesellschaftlich aufgewertet wurde.

Floria Lind betreut auf der chirurgischen Station eines Spitals zum Teil sterbenskranke Patienten. In einer chronisch unterbesetzten Abteilung muss sie zusätzlich die Arbeit einer ausgefallenen Kollegin übernehmen. Floria Lind versucht trotz unvorstellbarem Druck, allen Patienten gerecht zu werden: dort ein aufmunterndes Wort, hier eine menschliche Geste. So singt sie mit einer älteren Dame, die ihre eigene Situation nicht mehr überblickt und unbedingt nach Hause will «Der Mond ist aufgegangen», bis sie sich beruhigt hat. Eine bewegende Szene. Ein älterer Herr aus dem gegenüberliegenden Zimmer wartet verzweifelt auf den Arzt, um mit ihm seine Diagnose zu besprechen.

So hat jede Patientin und jeder Patient verständlicherweise vor allem sein eigenes Elend vor Augen und sie lassen ihre Unzufriedenheit über die Ärzte oder über das zu lange Warten, bis (endlich) jemand kommt, an Floria Lind aus. Sie versucht, die Betroffenen zu beruhigen, spricht tröstende Worte, entschuldigt sich für die Verzögerung oder verspricht dem verzweifelten Patienten, die Ärztin erneut zu bitten, noch am Abend bei ihm vorbeizuschauen. Erfolglos, die Oberärztin, die den ganzen Tag im Operationssaal gestanden ist, hat am Abend keine Nerven mehr und verlässt das Spital, ohne mit dem Verzweifelten zu sprechen.
Die unzufriedenen Patienten zu besänftigen und den Unmut der Menschen entgegenzunehmen, obliegt der Pflegefachfrau. Sie ist der Blitzableiter für alle Enttäuschungen. Wenn ein Patient sich für ihren Einsatz bedankt, ist man erstaunt, dass es so etwas auch noch gibt.

Das Arbeitspensum, das im Film dargestellt wird, ist immens. Frau Lind rennt von einem Zimmer zum andern, wechselt die Infusion, verabreicht die Tabletten, wechselt den Katheder, holt das Schmerzmittel und geht bei der kurzen Begegnung auf jeden Patienten ein. Ständig klingelt das Telefon. Die Verwandten wollen Auskunft, wie es dem Angehörigen geht. Die Tochter aus Amerika will unbedingt ihre Mutter sprechen. Je länger der Dienst andauert, um so mehr stürzt auf sie ein, bis die Grenze des Erträglichen erreicht ist.

Wer selbst einen Spitalaufenthalt erlebt hat, fragt sich beschämt: Habe ich nicht auch ähnlich unzufrieden reagiert, habe ich meinen Frust über meine Hilflosigkeit oder darüber, dass der Arzt nicht gleich zu mir gekommen ist, an der Pflegefachfrau oder dem Pfleger ausgelassen?
Man verlässt das Kino innerlich berührt und realisiert, wie gross der personelle Notstand bei den Pflegeberufen ist. Warum sind so viele Stellen für Pflegefachkräfte nicht besetzt? Zahlen prognostizieren, dass bis 2029 rund 28 000 Pflegekräfte fehlen könnten.
Während Milliarden in die Rüstung fliessen, haben wir keine Idee, wie man die Zustände im Gesundheitswesen verbessern kann.

Die im Film gezeigte Menschlichkeit berührt. Man verliert das Gefühl, in einem Film zu sitzen. Die Fiktion wird zur Realität und fesselt den Zuschauer ohne Effekthascherei.
«Heldin» muss zum Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen in unseren Spitälern führen. Es ist der Regisseurin gelungen, die hohe Belastung des Pflegeberufs, aber auch seine menschliche Dimension einzufangen und zu dokumentieren.