Ein Kommentar von Dr. phil. Helmut Scheben*
Drohnen-Alarm von London bis Warschau, von Warschau bis Kopenhagen und Oslo. Die veröffentlichte Meinung besagt, es handele sich um russische Cyberangriffe. Ein Rückblick auf die Fakes westlicher Geheimdienste in den letzten 80 Jahren lässt allerdings Zweifel aufkommen.
«Langsam sind die Russen wirklich omnipräsent», meinen Herr und Frau Schweizer und bemerken dabei nicht, dass eine grosse Drohne über ihren Köpfen durchs Zimmer fliegt. Die Karikatur in einer Schweizer Tageszeitung zeigt ein Ehepaar vor dem TV-Bildschirm, wo die neusten Meldungen aus Dänemark zu sehen sind. Dort sollen russische Drohnen den Betrieb von Flughäfen gestört haben.
Endlich einmal eine Karikatur, die den grassierenden Drohnen-Spuk etwas auf die Schippe nimmt, könnte man auf den ersten Blick denken. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es ist keine Satire, sondern alles ist ernst gemeint. Da wird den Zeitungslesern beigebracht, was es geschlagen hat: Der Russe hat seine Drohnen überall, aber Herr und Frau Biedermann haben es immer noch nicht gemerkt. Sie sehen nur den Russen in Kopenhagen, nicht aber den Russen im Heidiland.
Wer weiterblättert in der Zeitung, erfährt, wie schlimm die Lage ist. «Satellitenbilder entlarven Putins Aufrüstung», titelt sie und belehrt uns: «Dass die Russen in naher Zukunft Europa und die Nato angreifen werden, gilt unter Militärexperten als so gut wie sicher. Laut westlichen Geheimdiensten soll Russland ab 2029 bereit sein für einen grossen Krieg».
Der Krieg gegen Russland ist also unvermeidlich. Das ist die Parole, die seit Monaten unablässig wiederholt wird, um eine gigantische Aufrüstung zu rechtfertigen, deren Umfang in der europäischen Geschichte einmalig ist.
Was den militärischen Laien und die nüchterne Zeitungsleserin skeptisch machen müsste, ist die Aussage des dänischen Verteidigungsministers, dass man «nicht wisse, wer hinter den Flügen steckt». Es gebe keine Beweise, dass Russland etwas damit zu tun habe. Aber es sei ja klar, dass gewisse «Länder oder Akteure» ein Interesse daran hätten, die Unterstützung Dänemarks für die Ukraine zu untergraben. Russland weist jede Verantwortung für die unbekannten Flugobjekte zurück.
Zweifel sind angebracht
Substantiellere Zweifel an der Drohnen-Geschichte kommen auf, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die ominösen Flugobjekte verschwanden, ohne dass man sie identifizieren, einfangen oder abschiessen konnte. Dass zum Beispiel die dänische Polizei und eine auf Nato-Standard gerüstete dänische Luftwaffe nicht in der Lage wären, die Dinger vom Himmel zu holen, bevor sie übers Meer verschwanden, kann man nicht glauben.
Man erinnert sich an Juri Andropow, Generalsekretär der UdSSR, der dem finnischen Präsidenten Mauno Koivisto seinerzeit lachend sagte, er möge Olof Palme ausrichten: «Bombardiert sie. Uns kann es nur recht sein». Er bezog sich auf die «sowjetischen U-Boote», die 1984 vor den schwedischen Küsten gesichtet wurden.
Andropow wusste, dass es keine russischen U-Boote waren, sondern eine False Flag Operation westlicher Geheimdienste. Nie wurden diese mysteriösen Boote gefasst. Die «sowjetische Bedrohung» erwies sich als Volltreffer, um die Entspannungspolitik des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme zu sabotieren.
2023 wurden in den USA, in Kanada und in anderen Weltgegenden plötzlich eine Menge Ballons am Himmel gesichtet, die die Regierung Biden unverzüglich als chinesische Spionageballons erkennen wollte. Biden liess verlauten, China schicke diese Ballons, um militärische Einrichtungen im Westen auszuspionieren. Peking erklärte, es handele sich um Wetterballons, die der meteorologischen Forschung dienten. Manche seien durch die Windverhältnisse vom Kurs abgekommen.
Im November 2024 wurden an der Ostküste der USA und schliesslich auch überall im Land mysteriöse Drohnen gesichtete. Das Verteidigungsministerium sah sich alarmiert. Die Behörden mussten mehr als 3000 Meldungen untersuchen. Dabei kamen keine brauchbaren Erklärungen des Phänomens zustande.
Nun also Drohnen über Polen, Dänemark und Norwegen. Flughäfen müssen zeitweilig geschlossen werden. Die Nato diskutiert im Krisenmodus «Putins Luftraumprovokationen», und der Uno-Botschafter der USA rezitiert das bekannte Glaubensbekenntnis: «Wir werden jeden Zentimeter des Nato-Territoriums verteidigen.»
Der polnische Aussenminister Radoslaw Sikorski droht vor dem Uno-Sicherheitsrat, russische Flugzeuge abzuschiessen. Im Hamburger Hafen sollen schon Manöver abgehalten werden, in denen die Ankunft der Nato-Truppen für die Verlegung an die Ostfront geübt wird, und die deutsche Ärzteschaft wird auf die «Patientenversorgung im Ernstfall» vorbereitet. In der Schweiz schlägt das Verteidigungsdepartement Alarm: Selbst der Leopard-2-Kampfpanzer nütze nichts gegen Drohnen. Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode, heisst es bei Shakespeare.
Geheimdienst-Fakes von 1945 bis heute
Zweifellos ist es möglich, dass Moskau militärische Provokationen im Sinn hat und mit Absicht territoriale Hoheit in der Luft verletzt. Aber die Gier, beinahe müsste man von Lüsternheit sprechen, mit der jede neue «Geheimdienst-Erkenntnis» über russische Bedrohungen von den grossen westlichen Medien geradezu aufgesaugt wird, sollte zur Vorsicht mahnen.
Haben die Journalisten, die sich da die Finger wund schreiben über die russische Gefahr, keine historische Bildung, keine Geschichtskenntnisse? Haben sie in ihrer Ausbildung nicht gelernt, dass es ihr Job ist, «Erkenntnisse» der Geheimdienste und ihrer Strategie-Experten kritisch zu werten? Oder sollte der böse Satz von Upton Sinclair zutreffen: «Es ist schwierig, einen Menschen dazu zu bringen, eine Sache zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er sie nicht versteht»? Der Kommunikationsforscher Uwe Krüger hat 2013 in seiner Studie «Meinungsmacht» nachgewiesen, dass die leitenden Journalisten der führenden deutschen Medien in Nato-affine Netzwerke eingebunden sind.
Nach dem gescheiterten Angriff der USA auf Kuba im Jahr 1961 schrieb der ehemalige US-Präsident Harry Truman, der Geheimdienst sei völlig aus dem Ruder gelaufen:
«Als ich die CIA gründete, hätte ich nie gedacht, dass sie in Friedenszeiten mit dunklen Mordkomplotten in Verbindung gebracht werden könnte. Sie ist zu einem operativen Arm der Regierung geworden und macht gelegentlich sogar Politik. Ich sähe es gern [ … ], dass ihre operativen Aufgaben beendet würden.»1
Truman hätte sich nicht träumen lassen, wie viele Kriege und Militärputsche in der Folge mit den «Informationen westlicher Geheimdienste» begründet wurden und wie die Öffentlichkeit jeweils hinters Licht geführt wurde.
Stets wurden äusserst wirkungsvoll die «Geheimdienst-Erkenntnisse» verbreitet, denen zufolge die USA irgendwo auf der Welt den Kommunismus, den Terrorismus oder einen anderen Feind abwehren und einem unterdrückten Volk Freiheit und Demokratie bringen müssten. Wobei letztere nicht selten gerettet wurde, indem man sie abschaffte: 1947 in Griechenland, 1948 in Venezuela, 1950 in Korea, 1953 im Iran, 1954 in Guatemala, 1955 in Vietnam, 1961 in Kuba, 1965 in Indonesien, 1973 in Chile, 1979 in Nicaragua, 1980 in El Salvador, 1979 in Afghanistan, 1999 in Jugoslawien, 2001 erneut in Afghanistan, 2003 im Irak, 2011 in Libyen und anschliessend in Syrien, um nur einige der militärischen und geheimdienstlichen Interventionen des Westens zu nennen.
Der militärisch-industrielle Komplex, vor dem Präsident Eisenhower 1961 gewarnt hatte, hat im Kalten Krieg eine PR-Maschinerie entwickelt, in der Zehntausende fleissige Strategie-Experten, Konfliktforscher, Menschenrechtskämpfer und Journalisten eingebunden sind, um Feindbilder zu entwerfen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Jörg Becker und Mira Beham haben in ihrem Klassiker «Public-Relations für Krieg und Tod» nachgewiesen, wie die Manipulation der öffentlichen Meinung in den Balkankriegen funktionierte.
Rolle der Medien
Wenn man der Mainstream-Presse und den westlichen Geheimdiensten glauben soll, auf die sie sich bezieht, stehen die russischen Panzer schon bald vor dem Nato-Hauptquartier: «Putin kommt der Nato-Zerstörung immer näher», titelt das Blatt.
Es gibt Wörter, die sich ausbreiten wie eine Epidemie. Das neue Wording heisst «testen». Der Russe will unsere Verteidigungsfähigkeit testen. Was auch immer an Ungemach passiert, es kann keinen anderen Ursprung haben als den bekannten: Der Russe testet uns wieder. Wenn ein russisches Flugzeug in der Ostsee über eine polnische Ölplattform fliegt, ist der Russe schon wieder in «einen Luftraum eingedrungen». Und wenn der Flieger, in dem Ursula von der Leyen sitzt, wegen eines technischen Problems eine Verspätung hat, ist es zweifellos ein russischer Cyberangriff. Dass sich dies dann als Unsinn herausstellt, hängt man in den Medien lieber nicht an die grosse Glocke.
Auch hinter den Problemen im Bahnverkehr in Deutschland oder Frankreich und hinter Software-Abstürzen in europäischen Flughäfen kann nur der Russe stecken: «Der Kreml setzt Sabotage als strategisches Mittel ein». Die Apokalypse ist für unsere Leitmedien offenbar unausweichlich. Fast ist man versucht, nachzuschauen, ob die Redaktionen bereits vor ihren Verlagshäusern begonnen haben, Schützengräben auszuheben. Man würde sich bald nicht mehr wundern, wenn der abendliche Stau auf der Zürcher Westumfahrung das Produkt des russischen Cyberkriegs ist oder ein «russisches U-Boot» im Bodensee auftaucht.
Geheimdienst-Operation «Mockingbird»
Selbstverständlich kann man argumentieren, der Krieg in der Ukraine sei real und keine Erfindung westlicher Geheimdienste. Russland ist tatsächlich in die Ukraine einmarschiert und hat damit gegen Völkerrecht verstossen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, und eine halbe Wahrheit, die ihre faule Seite versteckt, ist oft eine raffinierte Form der Lüge.
Denn ob es uns passt oder nicht: Das Vordringen eines feindlichen MiIitärpaktes nach Sewastopol, dem wichtigsten russischen Marinestützpunkt am Schwarzen Meer und seit Jahrhunderten für Russland ein Tor zur Welt, wurde in Moskau als Bedrohung empfunden. Und wenn die Nato-Granden die russischen Vertragsentwürfe für eine Entschärfung des Konfliktes im Dezember 2021 nicht in den Abfallkübel geworfen hätten, hätte es wahrscheinlich diesen Krieg nicht gegeben. Aber die grossen westlichen Medien unternehmen grosse Anstrengungen, um zu verhindern, dass diese Realität in unser Wahrnehmungs-Framing gelangt.
Mitte der 70er-Jahre wurde bekannt, dass der Geheimdienst CIA mit grossen Nachrichtenmedien zusammenarbeitete, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Es handelte sich um die «Operation Mockingbird». Die CIA leugnete die Operation und auch die Einflussnahme auf Medien.
Dass Medien – darunter die New York Times, ABC, NBC, CBS, Newsweek, The Miami Herald und viele andere – manipuliert wurden, ist jedoch erwiesen. Die CIA belieferte ihre Journalisten mit Texten, die diese anschliessend in Nachrichtenmedien veröffentlichten. Da es in den Medien üblich ist, solche Informationen aufzunehmen, veröffentlichten und verbreiteten selbst ahnungslose Journalisten Inhalte, die ursprünglich von der CIA verfasst wurden.
Es gibt zweifellos eine Menge integrer Journalistinnen und Journalisten, die versuchen, die Wahrheit zu finden. Aber diese Versuche erinnern, wie der Politikwissenschafter Ulrich Teusch einmal schrieb, an den Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel. Der Igel ist immer schon da und sagt: «Meine Damen und Herren, weil dieses geschehen ist, werden wir jenes tun.» Und der investigative Hase rennt sich die Lunge aus dem Hals, um festzustellen, ob «dieses» tatsächlich geschehen und folglich «jenes» gerechtfertigt ist. Doch so sehr er sich auch beeilt, er kommt immer zu spät ans Ziel. In Glücksfällen dauert die Verspätung nur Tage, bis die Wahrheit ans Licht kommt. Aber meist dauert es Jahre, oder wir erfahren die Wahrheit nie.
Als 2013 in einem Vorort von Damaskus das Giftgas Sarin eingesetzt wurde, erklärte der damalige Aussenminister John Kerry, die USA hätten sichere Informationen, dass der syrische Präsident Assad dafür verantwortlich sei. «Er hat es bei mehr als 30 Gelegenheiten gesagt. Wir haben mitgezählt», sagte mir ein paar Jahre später der ehemalige hochdekorierte CIA-Analyst Ray MacGovern. Und er fügte hinzu: «Im Syrien-Krieg wurde in Washington genauso gelogen wie im Irak-Krieg.»
* Helmut Scheben (*1947 in Koblenz, Deutschland) studierte Romanistik in Mainz, Bonn, Salamanca und Lima. 1980 promovierte er zum Dr. phil. an der Universität Bonn. Von 1980 bis 1985 war er als Presseagentur-Reporter und Korrespondent für Printmedien in Mexiko und Zentralamerika tätig. Ab 1986 war er Redaktor der Wochenzeitung (WoZ) in Zürich, von 1993 bis 2012 Redaktor und Reporter im Schweizer Fernsehen SRF, davon 16 Jahre in der Tagesschau.
Zuerst erschienen auf:
globalbridge.ch/unbekannte-flugobjekte/ 29. September 2025
Der Artikel wurde leicht gekürzt. Wir danken für die Abdruckgenehmigung.
- «Limit CIA Role to Intelligence», Washington Post, 22. 2.1963 ↩︎
